Schreiben im Winter
Zwischen Frost und Geräusch: Schreiben im Winter
Der Winter tut oft so, als wäre er still. Als läge über allem eine Art natürlicher Dämpfer, der die Welt ordnet, die Konturen klärt, die Stimmen senkt. Tatsächlich aber ist die Stille des Winters selten ein Geschenk. Sie ist eher eine Einladung: sich zu setzen, hinzuschauen, zuzuhören, was man sonst nicht hören möchte. Wenn draußen die Luft schärfer wird, werden innen die Töne deutlicher – die eigenen vor allem.
Man kann sich der Jahreszeit kaum entziehen. Schon in den ersten frostigen Tagen entsteht diese merkwürdige Mischung aus Rückzug und Reizung. Einerseits ist da das Bedürfnis, weniger zu sprechen, weniger zu müssen. Andererseits drängt sich plötzlich eine Überfülle an Geräuschen in diese reduzierte Welt: die grell überfüllten Weihnachtsmärkte, die zu hellen Lichterketten, die übermotivierten Geschenkempfehlungen, die dahinter liegende Überzeugung, man könne Beziehungen materiell nachbessern.
Gerade wenn alles nach Idylle schreit, reagiert der Körper mit einem feinen Widerstand. Die Erwartung von Harmonie wird so laut, dass man sie kaum noch aushält. Die falschen Geschenke, die man notgedrungen kauft; die richtigen, die man aus Verlegenheit verschiebt; die Gespräche, die man an einem gedeckten Tisch führt, obwohl alles in einem flüstert: „Das ist eine Inszenierung.“
Vielleicht ist das der eigentliche Grund, warum viele im Winter schreiben wollen. Nicht wegen der romantischen Vorstellung von Tee, Decken und Gegenlicht auf dem Schreibtisch, sondern weil die Jahreszeit alles, was brüchig ist, sichtbarer macht. Winter ist ein Brennglas. Er zeigt, was trägt – und was nicht mehr.
Die innere Stille wird nicht größer, aber präziser. Die Kälte schafft Distanz, und aus der Distanz entsteht Klarheit. Man kann plötzlich beobachten, was man sonst übersieht: die feinen Spannungen zwischen Menschen, die sich lieben und trotzdem nicht ehrlich miteinander reden; die kleinen Bewegungen, in denen Konflikte beginnen; die winzigen Wendungen, in denen Geschichten entstehen.
Vielleicht ist das Schreiben im Winter eine andere Form des Hörens. Eine, die nicht Frieden sucht, sondern Wahrnehmung.
Die alte Tradition der Wintereinkehr
In vielen europäischen Gegenden galt der Winter als Zeit der „Einkehr“ – seelisch wie sozial. Man arbeitete weniger, weil das Licht fehlte. Man sprach mehr, weil das Außen ruhiger wurde. Und man hörte genauer hin: auf Geräusche im Haus, auf das Knacken des Holzes, auf die eigenen Gedanken, die plötzlich nicht mehr übertönt wurden. Diese Phase war kein romantischer Rückzugsort, sondern ein sozialer Mechanismus: Wenn die Natur schweigt, rückt das Innere nach.
Heute nennen wir das manchmal „Winterblues“. Früher nannte man es schlicht: Zeit zum Nachdenken.
Und gleichzeitig: die lauteste Jahreszeit
So still der Winter im Kern sein kann – so laut sind seine Ränder. Weihnachtsmärkte, die mit blinkenden Lichtern und dröhnenden Lautsprechern versuchen, eine Stimmung zu erzeugen, die oft nur lose mit dem zu tun hat, was man wirklich empfindet. Die Hetze um Geschenke, die keiner braucht, das gekünstelte Lächeln bei Firmenfeiern, die Erwartung, dass man „fröhlich“ zu sein hat.
Und dann Silvester: Böller, Kracher, Lärmrituale, die sich auf sehr alten Vorstellungen gründen. Man glaubte einst, mit Krach die bösen Geister zu vertreiben – eine eher praktische Idee, wenn man die Nacht vor sich hatte und nicht wusste, ob sie bis zum Morgen anhielt. Heute vertreiben wir damit weniger Geister als vielmehr die unangenehme Stille, die kurz davor in unserer Küche saß und uns etwas sagen wollte.
Dazwischen: Die Tage, die nicht ganz dazugehören
Die Zeit zwischen Weihnachten und Neujahr wirkt seltsam entrückt, als hätte jemand die Welt kurz auf „Pause“ gestellt. Historisch gibt es dafür tatsächlich einen Grund: Die sogenannten „Zwischenjahrestage“ wurden dem Kalender nachträglich hinzugefügt, um die Differenz zwischen Sonnenjahr und Mondjahr auszugleichen.
Das heißt: Diese Tage gehören eigentlich nirgendwo richtig hin. Sie stehen außerhalb der Ordnung, frei, ungebunden – Zeit, die man nicht schuldet, sondern geschenkt bekommt.
Und vielleicht ist genau deshalb das Schreiben im Winter so besonders. Die Welt bewegt sich langsamer, und das eigene Denken wird plötzlich hörbar.
Deshalb schreiben wir
Weil der Winter, so widersprüchlich er ist, einen Raum bietet: zwischen Stille und Überreizung, zwischen Einkehr und Lärm, zwischen Jahr und Nicht-Jahr.
Einen Raum, in dem Geschichten entstehen.
Irgendwo zwischen dem Duft von Zimt, dem Widerschein fahler Lichterketten und verlorenen Vorsätzen, überforderten Familien und dem stillen Moment auf einem Heimweg im Dunkeln, entsteht dann die Frage:
Was genau will ich erzählen – und was davon wage ich wirklich?
Wer sich diese Frage stellt, ist schon mittendrin.
Für diejenigen, die sie nicht allein bleiben möchten, sondern mit Struktur, Aufgaben und literarischer Klarheit weitergehen wollen, haben wir eine Möglichkeit geschaffen:
Wer in diesem Winter schreiben möchte, finden bei schreibwerk berlin einen Kurs, der genau diese Zwischenräume nutzt.
Vier Module, zwei Monate, ein Wintertext. Ab 1. Dezember bis 31. Januar:
Winter. Stille. Spannung – der Winterkurs für literarisches Erzählen
Foto von Tijana Drndarski auf Unsplash
