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Das ist ein Ding: Die erzählerische Kraft von Objekten

Die erzählerische Kraft von Objekten

Dinge können viel erzählen. Schauen Sie sich mal in Ihrer direkten Umgebung um. Steht da nicht das Väschen, das Ihnen eine Verehrerin geschenkt hat? Oder verstaubt da nicht das Parfum, das jener Besucher damals Ihnen ungebeten überreichte. Als Sie gar nicht wussten, wohin mit sich? Haben Sie vielleicht sogar noch den kleinen roten Elefanten aus Plüsch, den Ihre Großtante mit ebenso großer Geste überreichte? Oder gibt es da  in der Vitrine noch die letzte Tasse des Services von Hedwig Bollhagen?Darum rankt sich die komplette Geschichte eines Frauenlebens, das zwischen künstlerischer Ambition und Anpassung (auch an das NS-Regime) schwankt?

Ich hole ein Opernglas meiner Mutter aus dem Schrank. Es ist aus schwarzem Leder, besitzt einen Goldrand und das Opernglas liegt schwer in meiner Hand. Ich selbst habe es einmal benutzt und würde es heute, da die Sehkraft nicht mehr die beste ist, sicher gut nutzen können. In der Oper. Oder im Theater. Doch ein Opernglas erscheint mir aus der Zeit gefallen, obwohl im Internet munter weiterlebt. Mich erinnert es an die Taftkleider meiner Mutter, an das Parfum, das sie auflegte vor einem solchen Abend. Auch an den wehenden Schal um ihre Schultern. Eine andere Zeit – eben die Zeit, als das Opernglas noch zur Ausstattung kulturbeflissener Frauen gehörte.

So könnte ich weiterschreiben, einmal mit den Dingen begonnen, fliegen sie mir zu. Der silberne Füllhalter, das einzige Geschenk meines liebsten Liebhabers (der aber geizig war, wenn es nur dieses eine Präsent gab). Das gelbe Quietscheentchen aus Kindertagen. Das erste Modem, das diesen ohrenbetäubenden Lärm machte. Der Bilderrahmen mit den Intarsien, den mir ein Kollege an einem denkwürdigen Abend schenkte (tu es ma soeur, tu es ma petite soeur). Oder die schon mal getragenen, zwar gewaschenen, sexy Dessous, die mehr über die Schenkerin verraten als über die Beschenkte.

Es gibt ganze Bücher, die sich um Dinge ranken: Die Geschichte der Welt in 100 Objekten , und „Die Dinge. Eine Geschichte der Frauen in 100 Objekten.“

Die Methode des Show and tell – Zeig und erzähl – können Sie auch für Ihre eigene Biografie nutzen. Welche Gegenstände haben Ihre Kindheit, Ihre Jugend, Ihr junges Erwachsensein … geprägt? Wenn Sie Lust haben, können Sie nur aus Objekten Ihr Leben rekonstruieren. Und Sie werden nicht nur sich selbst königlich unterhalten. Mitunter lernen wir dadurch im Rückblick auch etwas über die Zeit. Zum Beispiel über die,  in der Jeans mit Schlag angesagt waren und man das Peace-Zeichen, selbst emailliert, an der Kette trug. Oder der Parka, das grüne Zelt.

Man könnte also das Beispiel der beiden genannten Werke imitieren und eine Geschichte des Jugendprotests in 100 Objekten erzählen. Oder eine Geschichte der Emanzipation – angefangen vom Fahrrad über den Lippenstift und die Seidenstrümpfe bzw. den Nagellack, der die Maschen halten sollte, bis zur Menstruationstasse erzählen. Unscheinbarer, aber wahrscheinlich mit sehr viel mehr Frauengeschichten verbunden, ist dagegen die Pille bzw. die Pille danach.

Was für die Biografie gilt, gilt ebenso für den Roman. Wer schon mal Romanistik studiert hat, kennt die berühmte Madeleine aus Prousts „Suche nach der verlorenen Zeit“. Diese hat nämlich durch ihre Form (sieht aus wie eine Brust) und ihren Geschmack die gesamte Erinnerungsmaschine in Bewegung gesetzt.

Wer Heinrich Bölls „Haus ohne Hüter“ gelesen hat, erinnert sich sicher an die Glasflasche, die die Großmutter von der Galerie schwenkt und dazu „Blut im Urin“ schreit. Wer den aktuellen Roman von Dörte Hansen „zur See“ liest, der wird das Ding als Knochenzaun und gestrandeten Wal erkennen, beides hochsymbolisch aufgeladen.

Merken Sie sich also: Dinge können sprechen. Sie können Geschichten erzählen.  Und sie sind für Ihre Autobiografie und für Ihre Romane Vehikel, die Sie ins Erzählen bringen.

Foto: Jordane Mathieu on Unsplash


Hanne Landbeck

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