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Kunst und Schreiben

Your Turn – Story aus dem Kurs “Kunst-Geschichten”. Von Brigitta Scherleitner

Kunst und Schreiben – ein schönes Paar

Kunst und Schreiben bringen wir in zwei Themenspecials zusammen. Der erste Kurs orientiert sich an der wissenschaftlichen Kunstbeschreibung, animiert aber auch dazu, freie Texte zur Kunst zu schreiben. Der zweite Kurs geht assoziativer vor und konfrontiert die Teilnehmer:innen mit Wolkenmalerei, mit Porträts von der Antike bis heute u.v.m. Und vor allem sieht er die Kunst als Anlass für das Schreiben. Hier ein Beispiel eines Textes, der in dem Kurs Kunst und Schreiben entstanden ist. Grundlage ist die Arbeit von Edward Hopper, Sitzabteil, aus dem Jahr 1965

 

Story aus dem Kurs Kunst-Geschichten
Von Brigitta Scherleitner

Schreiben über Kunst ist eine Kunst für sich. In unseren Themen-Specials zur Kunst lernen Sie neue Zugänge. Hier das Beispiel von Brigitta Scherleitner.

Brigitta Scherleitner ist bildende Künstlerin und Autorin. Sie lebt in München und sagt über den Kurs Kunst-Geschichten”, der früher “Bild.Sehen.Verstehen” hieß: “Ich habe enorm viel gelernt und die Kenntnisse der Akademie aufstocken können, wobei die literarische Beschäftigung mit der Kunst etwas ganz Besonderes war. Sie regte die Fantasie an und machte mächtig Freude. “

Die Themen-Specials Kunst-Geschichten1 und Kunst-Geschichten2 bringen Sie zu neuem Schreiben über Kunst. Bei Interesse schreib uns bitte eine Mail.

 

Your turn!

Zwei Stunden! Und immer noch saß sie im Warteraum des Internisten! Susanne hatte schon alles gelesen, was für sie interessant war und begann wieder mit einem der aufliegenden ART Magazine.

Dieses Bild hier ist mir vorher nicht aufgefallen, habe ich das überblättert? , fragte sie sich. Es zeigte einen sehr hohen, schmalen Raum im dämmerigen Blau.

Parallel zur Fensterfront  an beiden Seiten waren Einzelsitze in Längsreihe angeordnet, dazwischen befand sich ein Mittelgang. Susanne ging auf ihm in Gedanken nach vorne, bis zu dieser eigenartig marmorierten Stirnwand. War das eine Tür? Den Umrisslinien nach, schon, nur gab es keine Klinke. Vielleicht kann man die Tür nur von der anderen Seite des Raumes öffnen oder es gibt einen versteckten Mechanismus?, dachte Susanne und fröstelte.

Warum die schwarzen Flächen

Konnten diese hohen, an ihrer Innenseite schwarzen Balken das Gefühl in ihr ausgelöst haben? Sie hingen oberhalb der Fenster tief von der Decke herunter. Sie schienen diese einerseits zu stützen, lehnten sich aber andererseits gleichzeitig an die Wand mit den Fenstern. Wie schutzsuchend, dachte Susanne. Und warum die schwarzen Flächen oberhalb der Scheiben?

Von draußen drang gelbliches Licht in den Raum, warf von rechts gelbe Flecken auf den moosgrünen Boden und die Andeutung eines gelblichen Dreiecks an die Stirnwand des – Das ist ein Abteil, na klar! Susanne hatte inzwischen den Titel des Gemäldes entdeckt. „Edward Hopper, Sitzabteil, Öl auf Leinwand, 1965.“

Das Bild zog sie jetzt in seinen Bann. Susanne setzte sich aufrecht, nahm das Magazin in beide Hände, hielt es ins Licht der Deckenbeleuchtung, um mehr Einzelheiten sehen zu können. So erkannte sie, dass das Moosgrün des Bodens auch rötliche Stellen besaß, nämlich genau an den Übergängen vom Gelb zum Grün. Und es fiel ihr auf, dass die Lichtflecken auf dem Belag genau den Umrisslinien der Lehnsessel entsprachen. Eckige Sprechblasen. Zeigen auf die Sitze, dachte Susanne.

In Fahrtrichtung links

Im Raum saßen nur vier Personen. In Fahrtrichtung links ein Mann im ersten Sessel, eine ältere Frau mit Hut im zweiten Stuhl rechts. Im übernächsten, hinter dem Mann in der linken Reihe, saß eine junge Frau, der anderen Passagierin schräg gegenüber leicht zugewandt. Für Susannes Gefühl hatte diese Frau im rechten Bildrand fast zu herbe, männliche Gesichtszüge. Außerdem war eines seltsam: Sie hielt das geschlossene Buch mit beiden Händen so, als wäre es überaus kostbar.

Susanne schüttelte den Kopf. Eigenartig. Alles in diesem Sitzabteil ist eigenartig. Und schon kreiste das Fragenkarussell in ihrem Kopf, wie denn Sitzabteil auf Englisch hieße.

„Arm chair“, sagte der Mann vom ersten Sitz links, stand auf und setzte sich auf den leeren Platz neben Susanne. „Danke“, sagte sie automatisch, dann aber wurde ihr bewusst, wo sie sich befand: links neben der Frau mit dem Buch, und zwar im selben Abteil. Susanne sah sich um. Es war alles genau wie im Bild. Nur dass die schwarzen Farben über den Fenstern in Wirklichkeit Verdunklungsrollos waren. Und die Frau mit dem Buch noch männlicher aussah.

Ein Räuspern holte sie aus ihren Gedanken. Sie blickte in ein kantiges Gesicht mit graublauen Augen, Der Mann lüftete seinen breitkrempigen braunen Hut und nickte Susanne zu. „Hopper, Edward Hopper.“

„Susanne“, sagte sie, verbesserte sich aber schnell auf: „My name is Susan.“ und fragte sich, wieso der Mann aus Reihe 1, links, jetzt einen Hut trug.

Keine Sprachprobleme

„Sie können ruhig Deutsch sprechen“, sagte Mr. Hopper und grinste. „In diesem Raum gibt es keine Sprachprobleme. Und was meinen Hut betrifft, privat trage ich immer braune Hüte. Ich habe meinen offiziellen Platz auf dem Bild verlassen, also kann ich jetzt machen, was ich will. Sonst noch irgendwelche Fragen?“

Susanne druckste herum. „Also, ja, eigentlich…“

„Nur keine Scheu“, lachte Mr. Hopper.

„Ich möchte Ihnen nicht zu nahe treten, Mr. Hopper“, stammelte Susanne.

„Edward, please call me Edward“, Mr. Hoppers Stimme klang sanft.

Susanne nahm einen neuen Anlauf: „Also gut: Edward. Ist die Frau neben mir in Wirklichkeit ein Mann? Und warum hält sie oder er das Buch so, als wäre es kostbar?“

Edward nickte. „Gut erkannt, Honey. Das ist meine weibliche Seite.“

„Und das Buch? Was ist mit dem Buch?“, drängte Susanne.

Edward stand auf.  „It’s your turn now.“ Er ging nach vorne und setzte sich wieder auf seinen angestammten Platz.

 

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Hanne Landbeck

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