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Geruch

Der Geruch – eine Story von Rebekka Bode

Der Geruch

Story von Rebekka Bode

“Der Geruch” ist im Online-Kurs Kreatives Schreiben entstanden.
Die Deutsch-Amerikanerin Rebekka Bode wohnt mit ihrer Familie im Berliner Prenzlauer Berg und arbeitet als Architektin.

Ich kann den Ursprung des fauligen Geruchs einfach nicht finden. Zunächst war er nur in der Küche. Jens hatte mit mir am Freitagabend Schluss gemacht, am Samstag seine Sachen gepackt und war am Sonntag mit einem sicherlich schon vor Wochen beauftragten Umzugsunternehmer ausgezogen. Als ich am Abend plötzlich allein am Küchentisch saß und mich zwang, eine Dosensuppe zu essen, bemerkte ich den Geruch. Zunächst dachte ich, es sei die Spargelcremesuppe. Ich fischte die Dose aus dem Mülleimer und überprüfte, ob sie schon abgelaufen war. Wir hatten sie als Reservesuppe hinten im Regal stehen und ihr Deckel war schon ganz verstaubt. Doch nach dem Verfallsdatum war sie noch ein halbes Jahr lang essbar. Ich schüttete den Rest trotzdem in den Abfluss und ließ noch lange heißes Wasser nachlaufen. Die sämige Pampe sollte nicht im Siphon steckenbleiben.

Am Montagmorgen war er noch da

Der Geruch verflüchtigte sich aber nicht; am Montagmorgen war er noch da. Leicht modrig und süßlich wie er war, vermutete ich, irgendwo schimmelnde Essenreste zu finden. Ich öffnete die Küchenschränke mit der bedrohlichen Vorstellung, dort eine geöffnete Packung mit verwesenden Wiener Würstchen oder einen Sack matschiger, suppender Zwiebeln zu finden. Es musste eine der wenigen Lebensmittel sein, die Jens gekauft hatte und nun mir, quasi als Abschiedsgeschenk, hinterlassen hatte. Ich durchforstete alle Küchenfächer nach Essenresten, fand aber nichts. Trotzdem säuberte ich die Regalböden mit dem effektivsten, ätzendsten Reinigungsmittel, das ich bei Rossmann finden konnte.

Der faulige Geruch wurde immer intensiver. Er war das erste, was ich wahrnahm, wenn ich morgens die Augen öffnete. Dabei gewöhnt man sich ja eigentlich an die muffigen Gerüche der Nacht und merkt erst wie abgestanden die Luft ist, wenn man nach dem Duschen wieder ins Schlafzimmer kommt. Am Dienstag schraubte ich die Abwasserleitungen unter dem Waschbecken im Bad und der Küchenspüle ab. Ich fischte dicke Knäule alter Haare heraus und kratze die dicke, schwarze, schleimige Masse von der Rohrinnenseite mit einer alten Zahnbürste ab.

Es war eklig und befriedigend zugleich. Danach schüttete ich literweise Rohrfrei in alle Abflüsse. Meine Nasenschleimhaut kribbelte und wurde trocken. Als ich in die nach Chlor und Rohrreiniger riechende Dusche stieg, um mir den Dreck abzuwaschen, meinte ich die Chemikalien an meinen Füßen nagen zu fühlen. Ich wollte mich auflösen, aufsprudeln wie eine Brausetablette. Mein Körper sollte sich in eine große antiseptischen Bläschenskulptur verwandeln, die sich Blase für Blase zersetzt.

Dieser gottverdammte Geruch

Doch als ich ein paar Stunden später, nach einem weiteren Einkauf beim Drogeriemarkt, wieder in die Wohnung kam, schlug mir dieser gottverdammte Geruch schon beim Öffnen der Wohnungstür entgegen. Ich bekam es mit der Angst. Ich leerte auch den kleinen Mülleimer im Bad. Tatsächlich roch er schon übel. Wie war ich vorher nicht draufgekommen?

Beim Heruntertragen der Tüte zu den Tonnen im Hof, sah ich durch die milchige Folie eine alte Rasierklinge von Jens und den Deckel seines Aftershaves. Ich beobachtete mich selbst von außen – eine tragische Gestalt mit pickliger Haut und schlecht sitzendem Wintermantel – wie ich lächerlicher Weise die Tüte aufknotete, den Deckel mit spitzen Fingern herausholte und zu allem Übel an ihm schnupperte. Der vertraute Duft von Alkohol und Zitrone überraschte mich. Er war so frisch und so wenig würzig, gar nicht parfümiert und wenig männlich. Ich steckte den Deckel ein und schaute verstohlen zu den Nachbarfenstern hoch. Natürlich war dort keine Menschenseele.

Alle Spuren von Jens

Am Mittwoch fing ich dann an, jede halbe Stunde zu lüften. Ich wusch alle Vorhänge, die Bettwäsche, den Badvorleger und alle Handtücher. Und ärgerte mich, dass Jens die neuen Badetücher, die wir erst vor ein paar Monaten bei Habitat gekauft hatten, mitgenommen hatten. Dabei versuchte ich, nicht darüber nachzudenken, dass ich gerade alle Spuren von Jens beseitigte. Dann rückte ich den Kleiderschrank und die Bücherregale von der Wand ab, um nach Schimmel zu suchen. Ich googelte Hausschwamm und untersuchte unsere Dielen. Beim Rossmann kaufte ich mir ein Raumspray und so ein Duftfläschchen mit Stäbchen, die das Parfüm aufsaugen und verströmen.

Der Verwesungsgeruch vermengte sich mit dem künstlichen Blumenaroma zu einem widerlich süßlichem Gestank. Ich hielt es nicht mehr aus. Ich schmiss das Fläschchen weg und behielt die Fenster die ganze Nacht sperrangelweit offen. Mit meiner Zweitjacke, Mütze und Schal im Bett liegend – den Mantel hatte ich zur Reinigung gebracht – merkte ich, wie erschöpft ich war. Endlich konnte ich weinen. Ich lief im Wohnzimmer auf und ab und wunderte mich über die Wucht der Schluchzer, die ich hervorbrachte. Mir war es egal, dass mich wegen der offenen Fenster wohl die ganze Straße hören konnte.

Den Geruch werde ich nicht los

Heute am Donnerstag haben Jens und ich einen Termin bei der Hausverwaltung, zu dem wir beide erscheinen müssen, um seinen Namen aus dem Mietvertrag zu streichen. Mir ist mit Schrecken klar geworden, dass Jens auch diesen Termin vor dem Wochenende vereinbart haben muss. Nervös befürchte ich, dass der Verwalter so endlich einen Weg findet, unseren alten Mietvertrag zu kündigen. Ich versuche mich ordentlich zurecht zu machen und dusche lange, mache ein Peeling, nehme ein neues Handtuch, trage zweimal Deo auf, reinige mehrere Male mein Gesicht. Den Geruch werde ich nicht los. Ich halte eine Hand vor den Mund, und rieche meinen fauligen Atem. Schon nachts hatte mein Mund muffig geschmeckt. Ich nutze Zahnseide, schabe meine Zunge sauber und gurgele mit Mundspülung. Dann putze ich die Zähne erneut. Es ist so widerlich. Ich bin so widerlich. Auf dem Weg werde ich Kaugummis kaufen müssen.

Ich föhne meine Haare und muss daran denken, dass Jens den Geruch meiner geföhnten Haare so mochte. Wie in einem vorherigen Leben scheint mir, als ich noch einen Freund hatte und zur Arbeit ging, trage ich den Lidstrich auf. Ich unterdrücke einen Anflug von Panik. Nächste Woche muss ich wohl oder übel in den Verlag zurück, funktionieren, zurechnungsfähig sein. Ich werde das Mitleid meiner Kollegin Marianne ertragen müssen.

Es ist mir alles zu viel

Ich möchte nicht raus, ich möchte Jens nicht sehen, ich möchte den kleinkarierten Verwalter um nichts bitten müssen. Es ist mir alles zu viel. Aber ich kann hier nicht bleiben und den Kopf in den Sand stecken. Der Geruch ist beißend mittlerweile.

Als ich aus der Tür trete, steigt der Hausverwalter gerade mit zwei Polizisten die Treppe hinauf. Ich erschrecke. Er bemerkt mich nicht, obwohl sie dicht an mir vorbei eilen. Schnell ziehe ich dir Tür zu der stinkenden Wohnung zu.

„Herr Rostig. Hallo?“, höre ich mich sagen. Er dreht sich überrascht um.

„Ah, Frau Baumgarten. Ja, guten Tag. Hat Herr Philipp Sie erreicht?“

„Nein.“

„Wir haben einen etwas unschönen Fall. Ihr Nachbar in der Wohnung über Ihnen, der Herr Semmler, ist leider tot aufgefunden worden.“

„Achso. Oh Gott.“ Die Polizisten setzen an, weiter die Treppe hochzusteigen.

„Ich würde Ihnen empfehlen, Ihre Tür zu schließen, während die Polizei und der Bestatter oben sind. Herr Semmler liegt schon seit geraumer Zeit in der Wohnung. Ähm, der Leichengeruch ist recht stark… Wir werden unseren Termin verschieben müssen.“ Er eilt den Polizisten hinterher.

Ich gehe die Treppe hinab. Vorsichtig atme ich ein. Auch hier riecht es schlecht, wenngleich lange nicht so schlimm wie bei mir in der Wohnung. Auf der Straße weiß ich nicht, wohin ich gehen soll. Es steht ein Bestattungswagen vor der Tür. Ich hole mein Handy heraus und sehe, dass Jens mich angerufen und mir geschrieben hat. „Hallo Moni, Herr Rostig hat den Termin auf morgen 11 Uhr verschoben.“

Ich gehe die Straße entlang, in die andere Richtung als in die ich gemusst hätte. Die klare, kalte Winterluft zieht in meine Nase. Ich hebe die Hand und rieche an ihr. Sie riecht nach Seife.

Foto von  JESHOOTS.COM  – Unsplash (danke)

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